Wenn man im Internet surft, dann stößt man auf die verrücktesten Tipps rund um den Hund.
So ging es mir erst mal wieder.
Eine Nutzerin stellte in einer Facebook Gruppe folgende Frage:
Hallo, ich habe einen Hund aus dem Ausland, er lebt seit 3 Tagen bei mir. Beim Gassi gehen, hat er so ziemlich vor jeder Kleinigkeit Angst. Was kann ich tun?
Eine Antwort darauf war:
Quatsch, der hat keine Angst, der ist bestimmt nur faul. Einfach ignorieren.
Mir platzt der Kragen
Das schlimme am Internet ist, dass jeder seinen inneren Experten zum Vorscheinen bringen kann und seine „super tollen Tipps“ verbreiten kann.
Schnell lässt man sich beeinflussen – und damit meine ich nicht nur Hundehalterneulinge.
Wie schnell holt man sich einen Tipp aus dem Internet anstatt zu einem Fachmann zu gehen und sei es jetzt der Tierarzt, der Hundetrainer oder ein anderer Fachmann.
Gerade wenn es aber um Angst geht, braucht ein Hund, genau wie jedes andere Individuum super viel Einfühlungsvermögen und nicht die Internet-Super-Schlaumeier-Keule.
Was ist Angst
Angst ist ein Grundgefühl, welches sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein. Krankhaft übersteigerte Angst wird als Angststörung bezeichnet.
Einen Hund der Angst hat zu einer gewissen Handlung zu zwingen oder ihn zu ignorieren ist einfach die unglücklichste Idee überhaupt.
Wie soll denn ein Hund, der schon Angst hat und eigentlich irgendwoher Sicherheit und Geborgenheit will, lernen mit dieser Angst umzugehen beziehungsweise sie zu „bekämpfen“, wenn sein Mensch ihn zu genau dieser Handlung zwingt oder ihm nicht zur Seite steht?
Da gibt es zum Beispiel diesen einen Hund in der Nachbarschaft.
Normalerweise sollte jeder erkennen, dass dieser Hund, wenn er an Mülltonnen vorbei muss einfach die Panik des Jahrtausends hat. Seine Körpersprache schreit es förmlich und manchmal wimmert er sogar, wenn seine „Familie“ ihn an Mülltonnen vorbei zieht / schiebt / zwingt.
Anstatt mit dem Hund in Ruhe die Situation GEMEINSAM zu meistern, sei es einen großen Bogen um die – für ihn – Bedrohung – zu gehen oder ihm einfach mehr Zeit lassen um abschätzen zu können, was er nun wirklich von der Situation halten soll, wird dieser Hund immer wieder dazu gezwungen an Mülltonnen oder anderen Sachen vorbei zu gehen.
Druck ist nicht die Lösung
Wieso muss die „Familie“ dieses Hundes nur mit so viel Druck arbeiten?
Wieso wird so oft in Foren, Facebook oder wo auch sonst im Internet von irgendwelchen Hobbytrainern oder schlimmstenfalls auch noch von wirklichen „Hundeexperten“ empfohlen solche Probleme mit Druck zu lösen?
Druck, Angst, Hektik und ähnliche Gefühle und Situationen sind niemals gut zum Lernen, Verstehen und vor allem zum Aneinanderwachsen und Vertrauen.
Angst ist echt
Fast noch besser als den Tipp „Angst ignorieren“ finde ich ja die Aussage:
„Ach dein Hund tut doch nur so!“
Bei solchen Aussagen könnte ich regelmäßig an die Decke gehen. Manchmal kommt dann sogar noch der Nebensatz:
Wieso sollten Hunde denn Angst haben
oder
Hunde können doch gar keine Angst haben
Bei Leuten, die solche Aussagen treffen hoffe ich immer inständig, dass sie keine Hunde daheim haben.
Hunde sind genauso Säugetiere wie wir auch, wieso wird ihnen dann bitte in einer Zeit, die so aufgeklärt und scheinbar überinformiert ist, immer noch die Fähigkeit abgesprochen Gefühle zu empfinden.
Gefühle sind keine Erfindung von uns Menschen, Gefühle sind Empfindungen, ob positiv oder negativ, die von jedem Lebewesen genauso empfunden und wahrgenommen werden können. Seelische Regungen und Wahrnehmungen des Körpers, die man nicht so einfach ausschaltet, sondern die einfach da sind.
Wieso also sollten Hunde keine Angst empfinden (dürfen)?
Wenn ein Hund Angst hat, dann sollte man das ernst nehmen und ihn nicht mit seiner Angst noch aufziehen. Man sollte versuchen zu helfen und zu zeigen, dass diese Situation vielleicht gar nicht so bedrohlich ist, wie sie für den Hund zunächst wirkt.
Der Hund kann Situationen oder Dinge aus ganz unterschiedlichen Gründen als angsteinflößend empfinden.
Vielleicht hatte er schon mal eine ähnliche Situationen, die nicht gut ausgegangen ist und erlebt gerade ein Deja-vu oder er ist schon von seiner Persönlichkeit her ängstlicher, dann tritt er generell vorsichtiger an neue Situationen heran oder, oder, oder.
Aber eins sollte auch im Kopf bleiben, Angst ist nicht immer schlecht. Denn wie oben schon geschrieben, ist die Angst ein Urgefühl, welches lebensrettend sein kann. Die grundlegende Emotion hilft, Gefahren schnell zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Angst erhöht die Aufmerksamkeit und mahnt zu Vorsicht. Eine begründete Furcht verschafft die benötigten Energien, um entschlossen zu handeln und die nötigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Angst ist nicht eine Schwäche des Urteils, sondern eine zutreffende Erkenntnis. Carl Friedrich von Weizsäcker
Hilfe in Anspruch nehmen
Ich werde hier jetzt keine Erziehungstipps geben, denn wenn Du und dein Hund Hilfe braucht, sei es für länger oder mal nur einen kleinen Tipp oder vielleicht auch nur einen anderen Blickwinkel (denn seien wir mal ehrlich, manchmal sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht), dann geh zu einem Experten deiner Wahl. Einem Experten bei dem sowohl du dich als auch dein Hund sich wohl fühlt, der auf deinen Hund und auf seine Ängste achtet und dir erklärt wie du in solchen Situationen deinen Hund unterstützen und ihm helfen kannst.
Wenn Du also einen Hund hast der Angst hat, dann nehme diese Angst wahr und ignoriere sie nicht. Arbeitet gemeinsam an dieser Angst und wachst so noch fester zusammen.
[bctt tweet=“Wenn Du also einen Hund hast der Angst hat, dann nehme diese Angst wahr und ignoriere sie nicht. „]
Hast Du einen Hund der Angst hat und wenn ja, dann erzähl mir doch mal, wie Du Situationen, in denen er Angst hat, meisterst.
Danke für den Beitrag !
Ein Hund mit Angst braucht Unterstützung, er braucht einen starken Partner an seiner Seite, er braucht Souveränität und Sicherheit und sicher keine Pseudoexperten aus den sogenannten sozialen Netzwerken.
Wenn ich Kommentare lese, die abwertend und respektlos die Angst verharmlosen oder lächerlich machen, dann fällt es mir schwer mich zurück zu nehmen.
Es ist effektiver die Energie für die Halter und Hunde einzusetzen, die wirklich Hilfe suchen und die sich auf diesem Wege an Professionalität orientieren.
Wirklich ein guter Beitrag … denn Angst bei Hunden ist ein sehr reales Gefühl. Auch wenn wir jetzt das Glück haben, dass Damon und Cara nicht sehr ängstlich sind – bei Laika war das anders. Manche Dinge haben wirklich totale Panikreaktionen ausgelöst: merkwürdige Geräusche im Dunkeln, ein geparktes Auto da wo sonst nie eins steht und (ganz furchtbar) Heißluftballons – schon bei Sichtung am Horizont.
Manches konnten wir mit viel Geduld abbauen … das heißt so viel Vertrauen aufbauen, dass Laika mit mir an den Dingen vorbeigelaufen ist. Bei anderen Dingen (wie den Ballons) blieb nur der schnelle Weg heim und dann wieder gehen, wenn der Himmel frei war!
Liebe Grüße,
Isabella mit Damon und Cara
Wie recht du hast!
Leider wird oft mit Schreien und Einreden reagiert.
Adgi hat letztens das Rad umgerissen beim Einkaufen (normal schläft er immer tief und fest, aber ein Auto fuhr zu dicht ran). Er hatte dann Angst vor der Stelle auf dem Parkplatz. Eines Abends haben wir ihn abgeleint, Michael hat sich auf den Fahrständer gesetzt und gewartet. Adgi hat sein Tempo gewählt und am Ende ist er über die Ständer gesprungen und wir haben kein Problem mehr mit der Stelle (Was so ein bisschen Modern Talking Geqietsche ausmachen kann). Mit Gewalt hätten wir ihn da niemals hinbekommen. ich denke, dass jeder Hund sein Tempo hat und schon weiß, was er zu tun, manchmal müssen wir sie „nur“ leiten, motivieren und bestärken.
Eines habe ich mir vorgenommen: Ich misch mich in Foren nicht mehr ein. Meine Nerven haben mir schon einen Dankesblumenstrauß geschickt.
Liebe Grüße
Anika und Adgi
Danke für diesen schönen Beitrag, der sich konstruktiv mit diesem emotionalen Thema auseinandersetzt.
Angst und Furcht werden häufig durcheinander geworfen. Verhaltensforscher haben sich meines Wissens mittlerweile dahingehend geeinigt, dass Furcht das ist, was du als „Urgefühl“ beschreibst. Furcht ist lebensnotwendig, sie rettet Individuen von Höhe, Feuer und anderen bedrohlichen Situationen. Angst ist ein diffuses Gefühl. Beispielsweise haben wir manchmal Angst, wenn wir durch eine dunkle Gasse gehen. Wir haben noch nie etwas Schlechtes in dieser Gasse erlebt, sind vielleicht bei Tag schon mal durchgegangen, aber wenn es dunkel wird, bekommen wir dort Angst. Oft liegt es an einer Erwartungshaltung, dass gleich etwas passieren könnte, an einer Art Kopfkino. Das können auch Hunde erleben. Im Gegensatz zur Furcht ist Angst nicht lebensnotwendig, sondern kann krank machen. Dann sind wir im Bereich einer Störung.
Um solche Störungen (beispielsweile bei der Mülltonnengeschichte) zu therapieren, muss man sich zuerst vor Augen führen, wie Hunde lernen. Alles aufzuführen ist an dieser Stelle kaum möglich, daher sei hier stellvertretend aus dem Bereich der operanten Konditionierung die negative Belohnung benannt: Etwas Unangenehmes wird entfernt. Genau das kommt bei Furcht, Angst und Angststörungen zum tragen: das Unangenehme sind hier die Mülltonnen. In dem Moment, in dem sich der Hund gedanklich (und damit die entsprechenden Hormone ausschüttet) mit Flucht beschäftigt, belohnt er sich selbst. Belohnung führt dazu, dass ein Verhalten häufiger ausgeführt oder doch zumindest beibehalten wird.
Einen Hund schrittweise an die Mülltonnen heranzuführen ist wenig zielführend. Zeigt er keine Angst, kann er nicht lernen dass die Mülltonnen nicht lebensbedrohlich sind. Zeigt er Angst und darf er dann zurückweichen, belohnt er sich selbst und lernt nicht das Richtige.
In meinen Augen ist es der zielführendste Weg, wenn der Hund sich mit seiner Angst auseinandersetzen muss, begleitet von einem Menschen, an den er sich anlehnen und über den er sich versichern kann. Praktisch sieht das so aus, dass man mit dem Hund zu den Mülltonnen geht und dort aushält. Der Hund darf, wenn er möchte, gern Schutz beim Menschen suchen und finden, aber die Nähe zu den Tonnen bleibt. Sobald der Hund erste Anzeichen von leichter Entspannung und weniger Stress (biologisch betrachtet nimmt der Parasympathikus seine Arbeit mehr auf und der Sympathikus wird hheruntergefahren) zeigt, geht man gemeinsam von den Mülltonnen weg. Die Wiederholung macht am Ende den Erfolg.
Sorry, dieser Text ist eigentlich viel zu lang für einen Kommentar. Bei dem Thema packt es mich einfach, denn ich sehe so häufig Hunde, die -ungewollt- in ihrer Angst immer weiter bestätigt werden, während die Besitzer meinen, sie trainieren „gewaltfrei“ – und die Hunde bleiben in ihrer Angst gefangen. So schade, so unnötig!
Herzliche Grüße,
Sophia, Hundeschule Heiduk
Toller Blog, du sprichst mir in vielen Fällen aus der Seele.
Wir haben uns auch für ein Notfellchen entschieden. Allerdings aus Deutschland und ein Trennungshund. Nach zwei Jahren kennen wir ihn nun ganz gut. Er ist ruhig und lieb, kann aber mit vielen Rüden nicht. Das führte grad am Anfang wie du es auch beschrieben hast zu Stress und unschönen Hundebegegnungen. Ich bin selbst heute noch genervt von :der tut nichts: und :ja es ist auch ein Rüde. Warum sollte ich ihn anleinen?: Aussagen.. mittlerweile reagiere ich darauf knallhart mit der Antwort:dann garantiere ich für nichts. Meiner kann nicht gut mit Rüden: Das hilft ab und an.
Wäre schön, wenn es mehr so aufgeschlossene Besitzer gäbe wie dich.
Liebe Grüße aus dem Norden
Minsche
Hey, toller Artikel!!! Marlon ist auch ein sehr ängstlicher Hund! Und, oh mein Gott, wie oft haben wir das mit dem Ignorieren gehört. Leider haben wir bis heute keine Lösung für ihn gefunden. Und wir haben schon viel probiert. Gibt auch einen Artikel dazu. :)